Montag, 23. Mai 2011

Berich: Februar-Mai

Mai 2011

Neues aus Peru:

Liebe Freunde, Spender und Verwandte! Lange, lange ist es her seitdem Ihr von mir gehört habt, und viel ist geschehen, nicht nur bei Euch, bei mir, sondern in der ganzen Welt.

Im Februar hatte ich meine große Reise, auf der ich den Norden von Peru kennen lernte. Über die Küstenstadt Trujio ging es in die Berge nach Humachuco, in dem der Vater von einem Freund ein Haus besitzt. Somit konnte ich ein klassisches Minendorf kennen lernen und bewunderte die Vielfalt an Mineralien, die die Anden hergeben. Doch ich erschrak auch über die Einfachheit, in der die Menschen noch leben. In einfachen Lehmhütten, mit Feuerstelle zum Kochen und einem Fluss zum Wäsche waschen! Schon bald ging es weiter über Cajamarca auf abenteuerlicher Piste in Richtung Chachapoyas, dem Tor zum Amazonasbecken. Hier wurde das raue Anden-Klima schon milder, und in den Tälern waren Bäume voller Mangos und Orangen zu bewundern, sowie reißende Flüsse, welche mit ihrem rotbraunen Wasser über die Ufer stiegen und von der Regenzeit in den Bergen sprachen. Hoch oben besuchte ich die Ruinen der Chachapoyakultur, welche schon vor der Inka Kultur existierte und noch gegen die Inka kämpfte. Ihre Ruinen beeindruckten mich sehr durch ihr ursprüngliches Flair, da die Kolonisten sie nie zu Gesicht bekommen haben. Noch heute sind viele Gegenden unerforscht, und es kommt immer wieder zu wichtigen Entdeckungen. Doch mein eigentliches Ziel war das Amazonasbecken, somit musste ich ohne alles gesehen zu haben weiter. Über Gota, dem dritthöchsten Wasserfall der Erde, welcher auch erst 2002 entdeckt wurde, ging es mit dem Motorrad hinab in den Nebelwald. Doch vom Urwald bekam ich erstmal nicht so viel mit, da die Landschaft von Kaffeefeldern und Orangen-Plantagen geprägt war. Über Tarapoto, welches in den Ausläufern der Anden liegt, kam ich schließlich nach Yurimaguas, welches vollkommen in der Ebene liegt, an den Ufern vom Amazonas-Zufluss Rio Huallaga. Die Sonne brannte herunter und man schwitzte so wie in der Sauna. Die Menschen waren im Gegensatz zu den Anden lauter und temperamentvoller. Man spaßte viel und unterhielt sich bei reichlich Essen. Doch ich wollte weiter, um richtig in den Urwald zu kommen. Somit ging es früh am nächsten Morgen per Boot los in ein Dörfchen, 45 km von der Stadt entfernt. Hier traf ich eine sehr nette Familie, welche eine Unterkunft auf Stahlbauten für mich hatte, und das Ganze an den Ufern einer wunderschönen Urwaldlagune. Hier konnte ich jetzt mit dem Kanu starten und die Umgebung erkunden. Das Leben von den Leuten hier hatte ein bisschen ein Wildwest-Flair, da viele noch mit Machete und Gewehr in den Wald ziehen, um ihr täglich Brot zu verdienen. Viel Wald war abgebrannt und es grasten Rinderherden auf dem Urwaldboden. Ich als weißer Tourist wurde teilweise skeptisch angeschaut, weil anscheinend immer mehr ausländische Unternehmen kommen, um Land zu kaufen und Landwirtschaft zu betreiben. So gibt es z.B. 6 Stunden Gehzeit vom Dorf entfernt eine riesige Mais-Farm unter der Leitung einer chinesischen Firma. Außerdem verstanden die Bewohner nicht, warum alle Touristen in den National Park bei Iquitos gehen und nicht auf ihre Farmen kommen. Ich versuchte ihnen dann klarzumachen, dass die Menschen aus Europa vom Amazonasbecken ein Bild von noch unberührter Natur haben. Da schüttelten sie sprachlos den Kopf.

Schon bald aber ging mir die Zeit aus und ich musste ohne den richtigen Primärurwald gesehen zu haben zurück nach Lima, was ich auch nach 35 Stunden im Bus erreichte. Mir wurde klar, dass ich noch einmal zurück nach Peru muss, da mir die Zeit nicht reicht, um alles zu sehen.

In Lima folgte das Zwischenseminar, in dem wir, die Freiwilligen aus Peru, uns trafen, um uns unsere Erfahrungen auszutauschen. Schon zwei Wochen später fing nach einigen Vorbereitungen das neue Schuljahr an. Für mich änderte sich die Nachmittagsbetreuung, da ich jetzt nicht mehr im Hort helfe, sondern in einer neuen Nachmittagsgruppe. Somit bin ich jetzt dreimal in der Woche von 7:15 Uhr bis 18:00 Uhr im Kindergarten, plus einmal Konferenz, an den anderen Tagen meistens bis 15:00 Uhr. Also bin ich jetzt doch noch mehr im Kindergarten als im ersten halben Jahr. Die Arbeit macht mir aber immer noch Spaß, auch wenn wir am Anfang große Schwierigkeiten mit der neuen Gruppe hatten. Der Hauptgrund waren vier Kinder, welche soziale Probleme haben. Einerseits haben sie Schwierigkeiten, sich in die Gruppe zu integrieren, anderseits Schwierigkeiten, ins Spielen hineinzukommen. Im Umgang untereinander bevorzugen sie nicht die Sprache, sondern Schreien oder Schlagen, so weit, dass es schon reflexartig wirkt und sie es gar nicht bewusst machen. Durch einzelne Hausbesuche musste ich feststellen, dass die Kinder die Gesellschaft und die Familien gewissermaßen nur widerspiegeln: Das permanente Fernsehschauen, und wenn ich permanent sage, meine ich so 8 Stunden (!) täglich, bringt dann Kinder mit sich, welche bezüglich ihrer motorischen, sozialen, sprachlichen und körperlichen Entwicklung um Jahre zurückhängen. Die Kindergärtnerinnen versuchen zwar den Eltern klar zu machen, dass eine Konversation im Fernseher die sprachliche Entwicklung eines Kindes nicht fördert, sondern viel mehr hindert, doch oft spricht man gegen Wände. Das Viertel in dem ich arbeite ist sehr jung, somit wächst gerade die zweite Generation an Stadtkindern heran, und damit wachsen auch die Probleme, welche das Leben in einer Mega-Stadt mit sich bringt. Doch mit viel viel Geduld konnten wir mittlerweile einen gewissen Rhythmus und Zusammenhalt in die Gruppe bringen.

Meine Hauptaufgabe ist die Betreuung von einem der Kinder, welches Konzentrationsschwierigkeiten hat und seine Hände nicht unter Kontrolle bekommt. Doch wenn es einen Dienst gibt oder eine konkrete Aufgabe, versteht er diese meistens sehr schnell und versucht, sie mit viel Eifer zu lösen. Ich versuche außerdem, mit ihm in den Spielprozess hineinzukommen. Doch nur in kurzen Momenten gelingt mir dies, dann schweift er wieder ab und will etwas Neues anfangen oder herumtoben.

Die morgendliche Gruppe hat sich auch ein bisschen verändert, weil neue, jüngere Kinder hinzukamen. Meine Hauptaufgabe ist immer noch die Betreuung von dem autistischen Kind Jose Alejandro, welcher in vielerlei Hinsicht Fortschritte gemacht hat. Er integriert sich mehr in die Gruppe, auch wenn er immer noch jeglichen persönlichen Kontakt meidet. Seit kurzem arbeite ich mit ihm auch in der kleinen Holzwerkstatt mit den Kindern, welche in die erste Klasse kommen. Für ihn ist es auch das letzte Jahr im Kindergarten, da er schon 6 Jahre alt ist. Leider bekomme ich immer mehr mit, dass seine Eltern seine besondere Art nicht bewundern, sondern als Fehler wahrnehmen. Dies bestätigt auch meinen Eindruck von einem gesellschaftlichen Problem in Peru, da mir scheint, dass viele Kinder zu sehr als Hoffnungsträger für die eigene wünschenswerte bessere Zukunft gesehen werden.

Mit der ganzen Gruppe backen, malen und basteln wir zusammen oder bemalten Ostereier. Außerdem spielen wir draußen verschiedene Sorten von Fangen, oder springen Seil und sind natürlich im Sandkasten und „kochen“, oder schaufeln Berge, von welchen dann Murmeln auf kurvigen Wegen herunterkullern. Jeder Tag bringt immer neue schöne Erlebnisse mit sich, auch wenn man manchmal zu großer Geduld gezwungen ist. Somit erschrickt mich ein bisschen die Zeit die mir noch bleibt, da jetzt die Wochen schon gezählt sind. Außerhalb von den Kindergartenzeiten habe ich kleine Aufgaben wie zum Beispiel Fotoarbeit, Pflege des Gartens und die Herrichtung einer Toilette, welche der Vorfreiwillige gebaut hat, sich aber noch im Rohbau befindet. Außerdem versuche ich kleine Verse ins Spanische zu übersetzen und male Bilder zu Weihnachtsgeschichten für ein Bilderbuch. So gibt es immer einen Haufen Arbeit, doch an einigen Wochenenden suche ich dann das Weite, wie zum Beispiel auf einer Fahrradtour ins Amazonas-Becken, einer Traubenernte im Süden von Peru, beim Klettern an den umliegenden Felsen oder bei einem verlängerten Wochenende in Huaraz, um die Cordiellera Blanca kennenzulernen. Und viele schöne Orte warten noch!!!

Das war es fürs erste und wir hören uns!

Beste Grüße! Gabriel